Berichterstattung: Einheitliches Stresstest-Szenario sorgt für mehr Transparenz im Umgang mit Klimarisiken
Pressemitteilung vom 16.06.2022
Bisherige Nachhaltigkeitsberichterstattung erlaubt keine vergleichbare und quantifizierbare Bewertung unternehmensspezifischer Risiken beim Übergang zur Klimaneutralität – Quantifizierung erfordert Berichterstattung zu einem standardisierten Szenario – Policy Brief formuliert Empfehlungen für die Ausgestaltung eines einheitlichen Stresstest-Szenarios im Rahmen einer vorausschauenden Berichterstattung
Im Jahr 2021 überprüfte die Europäische Zentralbank erstmals im Rahmen eines Klima-Stresstests die Widerstandsfähigkeit von über 1.600 Banken und rund vier Millionen Unternehmen gegenüber den Risiken des Klimawandels. Eine aktuelle Analyse der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance zeigt auf: Auch für Unternehmen der Realwirtschaft können Stresstests und Szenarioanalysen ein wirkungsvolles Instrument sein, um Klimarisiken und -chancen in der strategischen Planung zu berücksichtigen und das Ziel Klimaneutralität zu erreichen. Co-Autorin Franziska Schütze vom DIW Berlin fasst die Ergebnisse zusammen: „Legen die Unternehmen Informationen entlang einheitlicher klimapolitischer Szenarien offen, können sie selbst und andere ihre Risiken und Chancen beim Übergang zur Klimaneutralität besser berücksichtigen. So wird es auch für Finanzmarktakteure einfacher, belastbare Einschätzungen hinsichtlich der Wandlungsfähigkeit von Unternehmen zu generieren und die für die Transformation der Wirtschaft notwendigen Finanzmittel bereitzustellen.“
Szenariobasierte Ansätze bisher kaum verbreitet
Während eine Vielzahl von Akteuren im privaten und öffentlichen Sektor das Erreichen von Klimaneutralität als strategisches Ziel formuliert hat, gehen nur die wenigsten systematisch mit der Bewertung der Klimarisiken um. „In unserer Forschung sind wir mit dem Problem konfrontiert, dass zukunftsbezogene Berichterstattung von relativ wenigen Unternehmen durchgeführt wird und die veröffentlichten Informationen nur schwer vergleichbar sind“, erläutert Co-Autor Frank Schiemann (Universität Bamberg). Zwar empfehlen die Richtlinien der Taskforce on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD), die in der Nachhaltigkeitsberichterstattung als wichtige Referenz gelten, Szenarioanalysen in die Betrachtung von Klimarisiken einzubeziehen, aber es gibt bisher noch keine einheitlichen Vorgaben zur regulatorischen Umsetzung dieser Empfehlung.
„Die Politik hat nun die Chance, ein einheitliches Stresstest-Szenario in ihren Offenlegungsvorgaben zur verankern und somit sicherzustellen, dass Unternehmen vorausschauend zu Klimarisiken berichten. Diese würde nicht nur der Finanzbranche ein Instrument für das Risikomanagement ihrer Portfolien an die Hand geben, sondern auch verhindern, dass Unternehmen alleine aufgrund ihrer Sektorzugehörigkeit der Zugang zu Kapital erschwert wird“, sagt Co-Autor Karsten Neuhoff (DIW Berlin).
Hindernisse und Chancen für die Etablierung eines einheitlichen Stresstest-Szenarios
Um herauszufinden, welche Kriterien ein solches Szenario erfüllen müsste und was bei dessen Verankerung in regulatorische Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung zu beachten ist, befragten die Forscher:innen rund 20 Expert:innen aus der Finanzbranche, der Industrie und dem öffentlichen Sektor. Dabei äußerten die Befragten den Wunsch nach klaren politischen Leitplanken für den Übergang zur Klimaneutralität, etwa zum Ausbau grüner Energieträger, und bestätigten, dass eine alleinige Fokussierung auf langfristige Klimaziele, also für das Jahr 2045 (bzw. 2050), die Planung und Umsetzung kurz- und mittelfristiger Maßnahmen erschwere. Ebenfalls betonten die Befragten, dass potenzielle Interdependenzen, die sogenannte Sektorkopplung, eine wichtige Rolle spielen, etwa für die Transformation in Schwerindustrien wie der Zement- oder Stahlindustrie.
Annahmen zur Entwicklung von Technologien und Infrastruktur müssen klar kommuniziert werden
Bei der Ausgestaltung eines einheitliches Stresstest-Szenarios empfehlen die Forschenden, ein festes Zieljahr für das Erreichen von Klimaneutralität zu wählen, etwa das Jahr 2035. Zudem sei es wichtig, wesentliche Rahmenbedingungen festzulegen. So dürfe Klimaneutralität nicht durch Kompensationsmaßnahmen, etwa den Kauf von Emissionszertifikaten erreicht werden, sondern durch eine Umstellung auf klimafreundliche Technologien oder Dienstleistungen. Um den Fokus auf tatsächliche Minderungen zu stärken, sollte auch die Verlagerung emissionsintensiver Wertschöpfungsprozesse ins Ausland ausgeschlossen werden. Das Szenario sollte den Unternehmen größtmögliche Flexibilität gewähren, etwa bei der Auswahl von Technologien, gleichzeitig aber klare Annahmen über deren Entwicklung kommunizieren.
„Nur wenn die Finanzwirtschaft die Risiken, denen Unternehmen durch den Übergang zur Klimaneutralität ausgesetzt sind, vergleichbar quantifizieren kann, ist sie in der Lage, deren Weg zu einem klimaneutralen Geschäftsmodell zu begleiten“, resümiert DIW-Wissenschaftlerin und Co-Autorin Catherine Marchewitz. „Ein einheitliches Stresstest-Szenario für alle Akteure kann einen wichtigen Beitrag zur Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität leisten.“